Interview mit Meister Kobayashi von Jürgen Rohrmann
Vom 20.Juli bis zum 29.Juli 1988 fand in Thonon am Genfer See der traditionelle Sommerlehrgang unter der Leitung des in ganz Europa bekannten Großmeisters Hirokazu Kobayashi (8. Dan), statt. Aus Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Holland und der Schweiz kamen die Lehrgangsteilnehmer angereist.
Aikido-Schüler vom 6. Kyu bis zum 5. Dan fanden sich zum Training unter Kobayashi Sensei (sensei = jap. Meister/ Lehrer) ein.
Drei Stunden am Tag, verteilt auf zwei Trainingseinheiten zu je eineinhalb Stunden jeweils morgens und abends wurde trainiert.
Wie immer begeisterte Kobayashi Sensei, aufgrund seinen äußerst kurzen und effektiven Techniken, Anfänger genauso wie Danträger. Neben Aikido-Techniken gegen verschiedene Angriffe wurden auch Abwehr gegen zwei Angreifer und Aikiken (Waffenhandhabung Bokken und Jo) aber auch Ki-Übungen eindrucksvoll vermittelt. Nach dem Training hatte ich die Gelegenheit, Kobayashi Sensei einige Fragen zu stellen, die er mir bereitwillig beantwortete.
J. Rohrmann: Wie und wann kamen Sie zum Aikido und machten Sie noch andere Budo-Sportarten?
H. Kobayashi: Ich übte Kendo, Judo und Karate aus, bevor ich zu Aikido Kontakt bekam. Im Jahre 1946 sagte mein Karate-Meister ich solle einige Zeit mit Karate aufhören und eine richtige Budo-Sportart erlernen. So gab mir Sensei Okayama ein Empfehlungsschreiben für O-Sensei Morihei Uyeshiba. Damit ging ich nach Tokio und suchte nach dem Honbu-Dojo, erst gegen Abend wies mir eine alte Frau den Weg. Sie sagte: "Dort hinten ist ein Dojo, aber es ist klein und soll verhext sein, ob dort Aikido trainiert wird, weiß ich nicht." Dort trainierten nur vier Leute und das Dojo war erbärmlich klein. Ich wußte nicht, was ich von alldem halten sollte, bisher hatte ich ähnliches noch nicht gesehen. O-Sensei war nicht anwesend, sein Sohn leitete das Training, ich fragte nach O-Sensei und Sensei Kishomaru Uyeshiba antwortete mit "Ich bin O-Sensei". Ich sagte, mir wurde O-Sensei als älterer Herr mit weißem Bart und dunklen stechenden Augen beschrieben. Nochmals sagte Kishomaru U. "Ich bin O-Sensei". Ich zeigte ihm mein Empfehlungsschreiben. Sensei K. Uyeshiba entschuldigte sich und sagte, O-Sensei sei unterwegs, wenn ich wolle könne ich sofort mit trainieren. Ich hatte keinen Dogi dabei, aber Kishomaru U. meinte, ich könne so mittrainieren. So trainierte ich sofort mit, durch die vielen Hebeltechniken am Handgelenk, die ich nicht gewohnt war, konnte ich nach dem Training nur unter großen Schmerzen mein Essbesteck halten. Nach drei Tagen bekam ich zum erstenmal O-Sensei zu Gesicht, genau wie er mir beschrieben wurde. Von kleiner Gestalt (1,54 m), einen langen weißen Bart und dunkle stechende Augen. Er redete überhaupt nicht, führte eine Technik 15-mal gegen verschiedene Angriffe vor und ließ es uns nachvollziehen. Die ersten drei Jahre fehlte ich an keinem Tag, weder an Weihnachten noch an meinen Geburtstagen.
J. Rohrmann: O-Sensei reiste viel in Japan herum und gab Vorführungen, begleiteten Sie O-Sensei oder blieben Sie im Honbu-Dojo?
H. Kobayashi: In den 50er Jahren überließ O-Sensei mehr und mehr das Training seinem Sohn und einigen Schülern, so begleitete ich O-Sensei bei seinen Reisen zu Vorführungen und Lehrgängen.
J. Rohrmann: Sensei Kobayashi, hat Ihnen O-Sensei einen Auftrag übertragen?
H. Kobayashi: Eines Tages wollte mich O-Sensei unter vier Augen sprechen und er erklärte mir, daß es Streit gab unter den Meistern, und er bat mich, alle wieder zu vereinen. Ich antwortete ihm, ich alleine könne das nicht erreichen und so arrangierte ich mich mit Kishomaru Uyeshiba und wir gaben uns gegenseitig das Versprechen, die verschiedenen Meister zusammenzuführen. Das Verständnis klappte eine Zeit lang ganz gut und alle acht Dane waren in Tokyo zusammen. Aber Sensei T. Abe konnte Sensei Tomiki nicht ausstehen und es gab Ärger, auch Kishomaru Uyeshiba ging weg. Zum Schluss war ich noch mit Sensei Tohei übrig, aber dann gab es auch Streit und Sensei Tohei ging weg. So gingen alle auseinander, Sensei Tada, Shioda, Tomiki, Abe, Saito, Tohei, Mochizuki, Uyeshiba u.a..... So wurden dann die verschiedenen Schulen errichtet und Verbände gegründet (Aikikai, Ki-Society, Tomiki, Yoseikan, Yoshin-Kai usw.)
J. Rohrmann: Obwohl viele der heute großen Meister, bei O-Sensei gelernt haben, sind doch die Techniken von Meister zu Meister unterschiedlich, worauf ist das zurückzuführen?
H. Kobayashi: Da die Menschen verschieden sind, ist auch das Aikido unterschiedlich.