Die Botschaft
An diesem Samstagmorgen, in Vicenza, war wunderschönes Herbstwetter, als wir im Dojo von G.P. Savegnago im Seiza auf der Tatami saßen.
Ca. 150 Personen waren aus ganz Italien, Frankreich und Deutschland angereist, um an dem Lehrgang teilzunehmen. Bietigheim, Oberstenfeld und Vaihingen waren mit 20 Personen vertreten, darunter auch welche, die bei unserer ersten Begegnung mit Kobayashi Sensei in Nürnberg 1979 schon dabei waren: Thomas Dimt, Manfred Mann und ich (Jürgen Rohrmann).
Giam Pietro Savegnago saß als ranghöchster Lehrer (7. Dan) an der Kamiza-Seite, wir als Gastlehrer auf der Joseki-Seite. Zu meiner rechten saß Manfred Mann, 5. Dan, Also Gonzato, 5. Dan, Piero Solvano, 5. Dan, Adrien Halm, 6. Dan, zu meiner linken Livio Zulpo, 4. Dan und Luca La Rosa, 4. Dan.
Als Savegnago Sensei die Eröffnungsrede in italienisch hielt, musste ich unwillkürlich an den Januar im Jahre 1979 zurückdenken. (Damals, als Thomas Dimt, Manfred Mann und ich nach Nürnberg gefahrenen sind, um uns einen Japaner anzuschauen, der den 8. Dan in Aikido besitzt. Wir, stolze Träger des 1. Kyu/1. Dans, die sogenannten "Bundesbesten", wie es damals im DAB hieß.
Mit großen Augen verfolgten wir, wie Kobayashi Sensei Aikido praktizierte. Kein theoretisches Gefasel. Absolute Kontrolle des Partners, eine nie gesehene Dynamik und Kraft, traumhaftes Timing, einen aufrechten und festen Stand des Sensei in allen Lagen. Unterricht in Aikiken und Aikijo, das wir bis zu diesem Zeitpunkt, nach immerhin 4-7-jähriger Aikidopraxis noch nie gesehen hatten. Für uns war von diesem Zeitpunkt an klar, nach 7jähriger Isolation im "klassischen Aikido" wollten wir uns umschauen, uns sämtliche Aikidolehrer und Stilrichtungen anschauen. Doch wir blieben immer Schüler von Kobayashi Sensei, bis zum heutigen Tage.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. A. Halm übersetzte die italienische Einführungsrede in die deutsche Sprache. Anschließend sollte M. Mann die deutsche Übersetzung des Briefes von der Frau von Kobayashi Sensei vorlesen.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, um vom Meister Abschied zu nehmen, ich blickte für einen kurzen Augenblick nach oben, die Decke war unterteilt durch ein querverlaufendes langes Dachfenster das offen stand, zum stahlblauen Himmel.
Grußwort von Frau Kiyoe Kobayashi an die Teilnehmer des Gedächtnislehrganges für Hirokazu Kobayashi Sensei am 7./8. November 1998 in Altavilla Vicenta (Italien), hier die deutsche Übersetzung von U. Wallauer-Faderl aus Nürnberg:
"Es hat als Schicksal (Vorsehung) begonnen: die Geschichte eines halben Jahrhunderts im Zeichen der Lehre seines großen Meisters Ueshiba ging in diesem Sommer 1998 zu Ende, mein Mann kehrte mit 70 Jahren zu seinem Meister zurück. Dank des verstorbenen Jakob Boetschi hat mein Mann Ihnen, den Europäern, Aikido bekannt gemacht. Es begann mit der Schweiz und dann Belgien, Italien, Deutschland, den Niederlanden ... stets den Geist des Aikidos verbreitend, verließ er regelmäßig zweimal pro Jahr Japan. Ich kenne die genaue Zahl der Übenden nicht, aber sicher waren es unzählige. Und jeder hat die Aufgabe übernommen, seinerseits zu unterrichten.
Sie mußten schwere Prüfungen auf sich nehmen. Dennoch haben Sie meinem Mann die Ehre des Aikidos zuteil werden lassen. Ich danke Ihnen für Ihre eifrige (glühende) Unterstützung. Ich bitte Sie, unaufhörlich auf diesem Weg weiterzugehen. Ich möchte noch einmal dem verstorbenen Großmeister Ueshiba und Herrn Boetschi Dank sagen für alles, was Sie geleistet haben. Ich zitiere, was mein Mann uns hinterlassen hat: ´Ich sterbe bald. Ich werde wieder auferstehen in dieser Welt. Ich werde auferstehen, um weiterhin Aikido zu verbreiten.´ Ich danke Ihnen für die Freundlichkeit, mit der Sie mir zugehört haben." Kiyoe Kobayashi
Es war ruhig im Dojo, einzig die Geräusche der nicht so "Seizasitzfesten" und das fröhliche Vogelgezwitscher von draußen waren zu hören.
Ich mußte an die Worte von Sensei denken: "Aikido wird es immer geben, auch nach meinem Tod geht es weiter." Und ich versuchte, mit dieser Einstellung den Lehrgang mitzumachen. Das Training wurde in zwei nebeneinander liegenden Räumen abgehalten, jeweils 2 Lehrer gaben zur gleichen Zeit ein Training. Savegnago Sensei und ich sollten das Eröffnungstraining geben. Nachdem das Shin-Kokyu und die Gymnastik gemeinsam durchgeführt wurden, sind die Schüler aufgeteilt worden und folgten mir in den zweiten Raum. Ich versuchte Erinnerungen und bestimmte Techniken von Sensei, die wir auf Lehrgängen besonders oft geübt haben in der Zeit von 1979 - 96, zu vermitteln.
Am Samstagnachmittag ging es im gleichen Schema weiter, jeder der eingeladenen Lehrer hielt zu Ehren von Kobayashi Sensei ein Training ab. Später am Samstagabend, beim Nachtessen und bis spät in die Nacht, wurden viele alte Bilder von Kobayashi Sensei angesehen, auch wurden alte Erinnerungen ausgetauscht und aus der anfänglichen traurigen Stimmung wurde mehr und mehr ein fröhliches Miteinander. Am Sonntagmorgen wurde wieder von 9.30 - 12.00 Uhr Aikido praktiziert, wie wir es von Sensei gelernt haben. Im Anschluss an das Training wurde nochmals eine Abschlussrede gehalten und allen Lehrern und allen Teilnehmern wurde persönlich mit einem Geschenk gedankt.
Auf die Frage "...was ist Aikido und auf was kommt es an?", gab Sensei Kobayashi einmal zur Antwort: